Das Jobcenter und dann auch das Sozialgericht Bremen verweigerten einer Familie mit behindertem Kind die Kostenรผbernahme einer barrierefreien Wohnung. Dabei hatten sowohl dessen Arzt wie auch die Fachstelle Wohnen den Bezug gefordert.
Das Jobcenter lehnte ab, weil die mรถgliche Wohnung ohne Barrieren ganze 72,60 Euro รผber dem รถrtlichen Richtwert lag.
Grad der Behinderung von 100
Eine alleinstehende Frau mit fรผnf Kindern lebte im Bรผrgergeld-Bezug. Der รคlteste Sohn ist schwerbehindert mit einem Pflegegrad von 4. Die Mutter ist zugleich seine Betreuerin.Sein Grad der Behinderung betrรคgt 100, zusรคtzlich hat er die Merkzeichen B (Berechtigung zu einer Begleitperson), G (erhebliche Gehbehinderung) und H (Hilflosigkeit).
In der Wohnung gefangen
Die 83 Quadratmeter groรe Wohnung der Familie liegt im ersten Stock und ist nicht barrierefrei. Der Sohn kann also das Haus weder eigenstรคndig verlassen noch betreten. Er muss jedes Mal durch das Treppenhaus getragen werden. Deshalb kรผmmerte sich die Mutter intensiv um eine barrierefrei Wohnung.
Das Jobcenter lehnt ab
Sie fand mehrere Wohnungen, die innerhalb des Rahmens lagen, der beim Jobcenter Bremen als angemessen gilt. Diese waren jedoch entweder vergriffen oder auf den zweiten Blick doch nicht geeignet. Endlich fand sie jedoch eine Wohnung, die passte, und die Fachstelle Wohnen stand hinter der Anmietung.
Doch das Jobcenter lehnte die Anmietung mit der Begrรผndung ab, dass die Miete รผber der gesetzten Angemessenheitsgrenze lag. Die Differenz betrug gerade einmal 72,60 Euro.
Bis zur Hรถhe von 1.353 Euro hรคtte die Behรถrde die Kosten getragen, die Wohnung kostete monatlich jedoch 1.425,60 Euro. Das Jobcenter behauptete zudem, die Frau hatte eine gรผnstigere Wohnung nicht angenommen.
Einen Widerspruch der Betroffenen lehnte die Behรถrde ab, und eine Klage vor dem Sozialgericht Bremen war erfolglos. Die Richter teilten die Ansicht des Jobcenters. (S 36 AS 815/23).
Einstweilige Anordnung des Landessozialgerichts
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen half der Familie in der miserablen Situation. Es verpflichtete das Jobcenter mit einer einstweiligen Anordnung die Mietkosten in voller Hรถhe zu รผbernehmen (L 13 AS 185/23 B ER).
Eine solche Anordnung kann ein Gericht verhรคngen, wenn dadurch wesentliche Nachteile verhindert werden und nach โmateriellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht.โ
Jobcenter und Sozialgericht handeln gegen Anweisung
Jobcenter und Sozialgericht verstieรen gegen eine Verwaltungsanweisung des Bremer Senats. Die schreibt nรคmlich vor, Menschen mit Schwerbehinderung Wohnkosten auch dann zu gewรคhren, wenn eine abstrakte Angemessenheit รผberschritten ist.
Das gilt erstens, wenn die Wohnung behindertengerecht ist und zweitens keine gรผnstigere zur Verfรผgung steht.
Deshalb betrachtete das Landessozialgericht die Wohnung trotz der Mietkosten fรผr angemessen. Die Richter sagten wรถrtlich: โDie persรถnlichen Lebensumstรคnde sind bei der Prรผfung der Angemessenheit der Kosten nicht unbeachtlich.โ
Das gilt nicht nur in Bremen
Zwar existiert in Bremen eine direkte Anweisung des Senats, bei Menschen mit Schwerbehinderung auch tatsรคchliche Wohnkosten zu รผbernehmen, wenn es keine konkrete Alternative gibt. In allen Bundeslรคndern gilt bei den Jobcentern indessen grundsรคtzlich diese Maxime.
Im Einzelfall mรผssen Jobcenter auch Wohnkosten รผber der als angemessen gesetzte Mietgrenze รผbernehmen, wenn ein besonderer Grund dafรผr vorliegt. Dass in diesem Fall ein Jobcenter es nicht als besonderen Grund gesehen hat, dass ein Mensch seine Wohnung nicht eigenstรคndig verlassen kann, ist ein Armutszeugnis.